Montag, 1. Juli 2013

Integriert oder geduldet?

Zur Rolle der Bürgerjournalisten als Informationslieferanten


In diesem Beitrag werden die verschiedenen Modelle des Mitmachens thematisiert. Der Bürgerjournalismus wird dabei nicht nur als Partizipationsmöglichkeit verstanden, sondern darüber hinaus auch als integraler Bestandteil professioneller journalistischer Arbeit in Hinblick auf die Informationsbeschaffung. Als Roter Faden dient dabei das Verhältnis von Bürgerjournalisten und professionellen Journalisten, was sich auf einem schmalen Pfad von Miteinander und Gegeneinander zu bewegen scheint.

Beim letzten Blog-Eintrag wurde danach gefragt, wer nun „echte“ Medienmacher seien. Eine Begriffsbestimmung geht einher mit den unterschiedlichen Modellen des Mitmachens, die wiederum für verschiedene Arten von Partizipationsmöglichkeiten von Bürgern an publizistischen Produkten stehen. Der Bürgerjournalismus ist von der Intensität der „Mitmach-Möglichkeiten“ eher im Mittelfeld anzusiedeln. Dabei stellt sich die ganz entscheidende Frage wie sich die Rollen von Profession und Partizipation zueinander verhalten. Inwiefern ist eine Zusammenarbeit der verschiedenen Seiten erwünscht? Zum Einstieg in die Thematik dient dieses recht plakative, nichtsdestotrotz anschauliche Video eines Youtube-Nutzers:

















Quelle: uwacomm2203 (2008)

Die Dringlichkeit des Themas wird deutlich, wenn ländliche Gebiete wie zum Beispiel der Landkreis Ludwigslust-Parchim in Mecklenburg-Vorpommern betrachtet werden. Auf einen Qualitätsjournalisten der Schweriner Volkszeitung kommt hier ein Gebiet von der Größe des Saarlandes, was es mit Berichten abzudecken gilt – kaum möglich für einen einzelnen. Daher kann für dieses Gebiet auch nicht mehr von einer ausgewogenen Berichterstattung gesprochen werden, bei der alle potentiellen Teilnehmer des Diskurses im Sinne des deliberativen Modells von Habermas zu Wort kommen können. „Vor Ort stirbt somit die Kommunikationskultur ab, was den Zusammenhalt des Gemeinwesens großen Schaden zufügt“ (ZdT 2013). Daher können Bürgerjournalisten hier als Scharnier fungieren um diese Lücke zu schließen. Dazu wurde ein ambitioniertes Projekt im Rahmen des Bundesprogramms „Zusammenhalt durch Teilhabe“ der Bundeszentrale für politische Bildung initiiert: „die AUFmacher – Neue Medienangebote von und für Bürger/-innen im Landkreis Ludwigslust und Vogtlandkreis“.

Wie ambitioniert solche Projekte auch sein mögen, so sollte man sich doch kritisch fragen: Wer trägt eigentlich die Verantwortung für die veröffentlichten Informationen? In Bezug auf Mitmach-Modelle, in denen Journalisten (mehr oder weniger) Hand in Hand mit Bürgerjournalisten arbeiten, sind es dann die Bürgerjournalisten, die Verantwortung für ihre Quellen hinsichtlich Wahrhaftigkeit der Informationen und Datenschutz tragen oder sind es die Journalisten, denen nun quasi eine Mediatorrolle zukommt, „bei der sie User-Generated-Content aufgreifen, filtern und weiterreichen“ (Ebermann et al. 2010: 2)? Doch zunächst soll der Bürgerjournalismus innerhalb der verschiedenen Mitmach-Modelle verortet werden, um im Anschluss die eben gestellten Fragen aufzugreifen.


Modelle des Mitmachens

Aus dem Dreieck Profession-Technik-Partizipation von Neuberger entspringen verschiedene Möglichkeiten des Mitmachens, die den Laien in unterschiedlicher Intensität in den journalistischen Alltag einbinden. Welker unterscheidet fünf verschiedene Modelle. Vom ersten bis zum letzten Modell nimmt der Anteil der eigenständigen Arbeit und somit die Verantwortung der Laien als Informationslieferanten zu. Dabei kann der Übergang zwischen den Modellen häufig fließend verlaufen, die Abstufungen sind idealtypisch.

1 Long Tail Journalism (Nischenjournalismus)
Kennzeichen des Modells sind eine sowie räumlich als auch thematisch eingeschränkte Berichterstattung, die wiederum nur an ein spezialisiertes Publikum gerichtet ist.

2 Public, Civic, Communitarian & Community Journalism (Partizipativer Journalismus, Lokaljournalismus)
Hierbei wird Journalismus als öffentliche Aufgabe verstanden, indem der Bürger über die Belange der Gemeinschaft informiert wird, wird die Bereitschaft gefördert, Verantwortung für diese zu übernehmen. Bürgerliche Partizipationsmöglichkeiten sollen dabei die Distanz zwischen Redaktion und Gemeinde verringern.

3 Citizen & Grassroot Journalism (Bürgerjournalismus, Laienjournalismus)
In diesem Konzept ist jene Form des Journalismus verankert, um den sich dieser Blog dreht: Der Bürgerjournalismus. Der Begriff wird gemäß Welker definiert als aktive Teilnahme der Nutzer (Bürger)
„als Produzenten von Inhalten [...], sei es als Lieferanten von Augenzeugenberichten, Reporter vor Ort oder als Produzenten von Gastbeiträgen. [...] Graswurzel-Journalismus nutzt die authentischen Beobachtungen und Erfahrungen von Laien, die aber von Journalisten noch bearbeitet werden können. Betroffenheitsschilderungen oder Informationen aus erster Hand ergänzen somit das professionelle journalistische Angebot.“ (Welker 2013)

4 Peer-to-peer & Open-source Journalism (Kollaborativer Journalismus)
Dem Laien wird bei dieser Form noch mehr Eigenverantwortung übertragen, indem Gruppen von Mediennutzern an der Erstellung, Überarbeitung oder Informationsbeschaffung der Artikel direkt beteiligt werden. Dabei werden sie auch hier von den Profis angeleitet. Pate für dieses Prinzip steht das Modell kollaborativer Softwareerstellung: Eine große Zahl an dezentralen Mithelfern arbeiten an einer gemeinsamen Publikation.

5 Watchdog (Citizen) Journalism
Hierbei liegt das Gewicht im Dreieck nach Neuberger eindeutig auf der Dimension der Partizipation. Laien sind die Berichterstatter, Kontrolleure oder aber auch die Kritiker. Damit nehmen die Laien eindeutig zentrale journalistische Arbeiten auf.

 Gisiger betont, dass nahezu täglich neue Bezeichnungen für einen partizipativen Journalismus entstehen, so dass es unmöglich sei, diese Thematik abschließend darzulegen. Dies liegt wohl an der Natur der Sache: Die Dynamik und die die schiere Vielgestalt des Gegenstandes „Soziale Medien“. Folgende Beispiele verdeutlichen diesen Aspekt.


...im Netz

Huffington Post
Readers Edition
Citizen Times
















Quelle: Truthloader (2013)

... Bürgerzeitungen



Für und Wider
„Wer christlich, heterosexuell und bürgerlich ist, neigt dazu (nicht nur im Journalismus, aber auch dort), sich selbst für neutral und den eigenen Blick für verallgemeinerbar zu halten“ (Emcke 2013).
Demzufolge gehen Journalisten davon aus, dass der fiktive Leser, Hörer oder Zuschauen dem Journalisten ähnlich sehe, aber häufig eben doch nicht der Fall ist. Diese Überlegung stammt von einer Journalistin, die sich im Rahmen des ZEIT-Magazins auf Spurensuche nach der Demokratie begibt. Anlässlich dafür schaute sie sich die Funktionsweise der Redaktion der Tagesthemen einmal näher an sowie auch die Einbindung von Social Media.  Das Statement zu Beginn verdeutlicht die Wichtigkeit der Integration des Publikums in den journalistischen Alltag, da auf Grund von Routinen das angemessene Hineinversetzen in den Rezipienten nicht mehr möglich ist und somit der Auftrag nach Meinungspluralität gefährdet ist.

Es wäre allerdings zu optimistisch gedacht, wenn die neuen bürgerjournalistischen Bewegungen als durchweg positiv zu sehende Ergänzung zur professionellen journalistischen Arbeit zu sehen wäre. Hinsichtlich der Informationsbeschaffung und –verarbeitung ergeben sich Vor- aber auch Nachteile, die an dieser Stelle reflektiert werden sollen.

Pro
  • Befürworter sehen den Vorteil in der Ergänzungsleistung durch Hinweise und Anregungen einer vernetzten Leserschaft. Verschiedene Sichtweisen zu einem Thema können somit dargelegt werden und stellen somit auch eine Kontrollfunktion der Journalisten dar.
  • Aufgrund ihrer Eingebundenheit am Ort des Geschehens, können Bürgerjournalisten Zugang zu besonderen Quellen erhalten. Sie dienen als wichtige Informationslieferanten für die journalistische Arbeit, besonders in Krisensituationen oder politischen Konflikten.
  • Positiv hervorzuheben ist deren institutionelle Unabhängigkeit. Sie sind keinem Geldgeber verpflichtet, der beispielsweise einem einer politischen Richtung zuzuordnen ist. Dazu gehört aber auch Unabhängigkeit von wirtschaftlichen Unternehmen. Diese Entkopplung von publizierendem und wirtschaftlichem System entspräche der dem freiem Austausch der Argumente im Sinne des Diskurses nach Habermas.

Contra
  • Dass nicht alles Gold sein, was glänzt, wurde bereits angedeutet. Kritiker des Bürgerjournalismus sehen die Arbeit und Standards des professionellen Journalismus gefährdet. Die Prinzipien des Journalistenberufsstandes gingen dadurch verloren.
  • Der Bürgerjournalismus wird als Zusammenspiel von Schwachen betrachtet, da nicht nur die Autoren sondern auch die Quellen in der Regel keinen professionellen Hintergrund haben und damit nicht in der Lage sind, den Ansprüchen des Qualitätsjournalismus zu genügen.
  • Im Fall von umfangreicheren Recherchen kann nicht auf strukturelle und personelle Ressourcen einer Redaktion zurückgegriffen werden bspw. können sie keinen Bildreporter an den Tatort schicken oder sonstige Reporter für Befragung möglicher Augenzeugen aussenden. Zur Verdeutlichung kann das Feldschema der Massenkommunikation von Maletzke herangezogen werden. Demnach ist das Handeln des Kommunikators auf verschiedene Weise bestimmt oder wird überhaupt erst ermöglicht. Das betrifft seine Eingebundenheit in Insitutionen (Deutscher Journalistenverband, Verlag, etc.), dem Team (Redaktion), sein eigenes Selbstbild und Berufsverständnis, seine Persönlichkeit und sonstige soziale Beziehungen. Dem Laien kann vice verso mangelnde Sozialisierung mit dem Mediensystem vorgeworfen werden. Die innewohnende Medienlogik wird zu wenig verstanden und somit fehlen Kenntnisse zu Standards und konkreten Anforderungen innerhalb der Medienbranche. Besonders werden in diesem Atemzug die mangelnden Kenntnisse journalistischer Ethik betont. Sofern überhaupt organsierte Strukturen vorhanden sind, sind diese meist unterfinanziert und die agierenden Autoren würden zu wenig kontrolliert.

Welche Verantwortung tragen also Bürgerjournalisten gegenüber den publizierten Inhalten und ihren journalistischen Quellen?

Durch Bürgerjournalismus entsteht das journalistische Produkt auf Grund des Zusammenspiels von Profession und Partizipation. Es ist davon auszugehen, dass dem professionellen Journalisten hierbei eine Mediatorrolle zukommt, indem er von Bürgern generierte Inhalte aufgreift. Dabei spielt seine Expertise als Journalist eine Rolle, denn er kennt das Mediensystem und seine innewohnende Logik. Demnach liegt es in seiner Verantwortung, entsprechend den journalistischen bei der Informationsbeschaffung anzuleiten und gleichzeitig als Korrektiv zu fungieren. Das wiederum soll den Laien nicht von seiner Verantwortung gegenüber seinen Quellen und ausgewählten Informationen entbinden. Er soll nicht als verlängerter Arm des Journalisten arbeiten, sondern in der Lage sein, eigenverantwortlich Gelerntes umzusetzen und Verantwortung für die eigene Arbeit zu übernehmen. Nur somit kann er als mündiges Mitglied im Diskurs auftreten.
Die Überlegungen sollen mit einem Fazit von Felix Strüning, Chefredakteur der Citizen Times, geschlossen werden:
„So gesehen ist das Wort “Bürgerjournalismus” wirklich ein Versprechen und kein Abgesang. Die Massenmedien muss er dabei gar nicht ablösen. Es reicht schon, wenn er korrigierend wirkt und Lücken füllt.“

Mirabelle Plouffe, 01.07.2013
 


Literatur
Daou, Rita (2012). Lebensgefährliche Youtube-Videos. URL: http://www.stern.de/politik/ausland/buergerjournalismus-in-syrien-lebensgefaehrliche-youtube-videos-1784706.html [23.06.2013].

Ebermann, Jana et al. (2010). Die Rolle von Journalisten in Sozialen Medien am Beispiel Twitter. Paper zur Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft (SGKM) 2010. URL: http://www.alexandria.unisg.ch/publications/61118 [28.06.2013].

Emcke, Carolin (2013). Aller Tage Abend. Welchen Anspruch haben Fernsehnachrichten? Aus der Reihe: Emckes Expiditionen. Auf der Suche nach der Demokratie. In: ZEIT-Magazin, 26/2013, S. 22-32.

Gillmor, Dan (2004). We the Media. Grassroots Journalism by the People, for the People. Sebastopol: O'Reilly Media. Siehe auch URL: http://oreilly.com/openbook/wemedia/book/index.html [23.06.2013].

Gisiger, Michael (2007). Bürgerjournalismus – Versuch einer Begriffsbestimmung. URL: http://www.readers-edition.de/2007/09/18/buergerjournalismus-versuch-einer-begriffsbestimmung/ [23.04.2013].

Strüning, Felix (2010). Bürgerjournalsmus – Qualität oder lediglich Rauschen?. URL: http://www.citizentimes.eu/2010/08/19/burger-journalismus-qualitat-oder-lediglich-rauschen/ [23.04.2013].

Initiative für Pressefreiheit (2013). Citizen Times. URL: http://www.pressefreiheit.biz/medien/citizen-times/ [23.04.2013].

Welker, Martin (2013): Inklusions- und Partizipationsleistungen im Journalismus: theoretische Grundlinien und Heuristik aktueller Erscheinungsformen. In: kommunikation@gesellschaft, www.kommunikation-gesellschaft.de, Jg. 14, Beitrag 1. Online-Publikation: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-327804 [23.06.2013].

Linkliste
http://www.buergermedien.de/
http://www.huffingtonpost.com/
http://www.readers-edition.de/
http://www.citizentimes.eu/
http://www.jugendpresse.de/projekte-und-veranstaltungen/workshops-und-seminare/die-aufmacher/presse/
http://www.youtube.com/watch?v=imJ4jSPD5uE
http://www.youtube.com/watch?v=aDG3bIyuJJo
http://www.zusammenhalt-durch-teilhabe.de/

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